Nina Schedlmayer
Hairway to Steven*
*Cover Version
Ein Sonnenschirm, eine Burka, ein Gespenst, ein Putzfetzen: Mit Dingen wie diesen assoziierten Betrachterinnen und Betrachter die Skulptur „dear prudence“ von Raimund Pleschberger. Das Objekt, ein Stück Stoff, das über einem Gerüst hängt, ist bedeutungsoffen.
Der Künstler stellt in seinen Werken wesentliche Fragen zur kollektiven Wahrnehmung: Wie stellt sich eine bestimmte Körperlichkeit her, über welche Materialien, Formen, Farben? Ab wann wird ein Ding als etwas Bestimmtes wahrgenommen, wo kippt dieser Effekt wieder ins Gegenteil, wo wird es wieder unkenntlich? So braucht es etwa, wie eine Skulptur Pleschbergers zeigt, nicht viel, um einen Galgen zu evozieren: Es reicht dafür ein Winkel. Ein Erdapfel in Gips abgegossen: Kann man ihn dann noch als solchen bezeichnen, oder ist er dann nur eine Abbildung davon? In einer anderen Arbeit überzieht der Künstler ein Objekt mit einem T-Shirt – das aber als solches nur mehr anhand der Nähte zu erkennen ist, seine ursprüngliche Form verloren hat.
Auch die Arbeit „Hairway to Steven (Cover Version)“ ist Teil dieser Auseinandersetzung: ein längliches drachenförmiges Stück Stoff, das als Krawatte erscheint, obwohl es nicht um einen Hals gebunden ist, sondern an der Wand hängt. Dabei entsteht eine Umcodierung: Die Krawatte wird zum Bildträger für das Foto einer gotischen Skulptur aus dem Stift Admont, einer Maria Magdalena. Die Figur erscheint, über und über behaart, als „Sünderin“ und steigt einer anderen Figur auf den Kopf. Das unterstreicht ihre Dominanz: eine männliche Fantasie, die als Angst- wie als Wunschvision gelesen werden kann.
Pleschberger demonstriert diese Perspektive, die er zusätzlich durch die Positionierung auf einem männlich codierten Stück Stoff hervorhebt. An der Maria Magdalena interessiert den Künstler auch der Fetisch: Ihr Fell spielt zwar auch auf ihre eremitische Existenz an; als Objekt sexuellen Begehrens verweist das lange Haar aber darüber hinaus auf Promiskuitivität und damit auf Maria Magdalenas vermeintliche Rolle als Prostituierte. Diese ist in der Bibel zwar keineswegs verbürgt, wurde aber in der katholischen Interpretation herbeifantasiert.
Ein anderer Fetisch, die Reliquie, spielt ebenso eine Rolle in Pleschbergers Arbeit. Ein besonders absurdes, ebenso mit männlichen Erotikfantasien aufgeladenes Beispiel dafür sind die Partikel vom Unterrock der Jungfrau Maria, die der Künstler vor schwarzem Hintergrund schweben lässt. Die Art der Darstellung findet ihre Parallele in Fotografien von Kunstwerken, die meist möglichst kontextlos und ikonisch abgebildet werden. Die Kunst selbst hat mit dem Reliquienkult gemeinsam, dass in beiden Fällen originale Objekte von Bedeutung sind. Ein Kollektiv – hier die Glaubensgemeinschaft, dort die Kunstszene – konstruiert um diese herum eine Aura. Daher verändert sich der Raum gleichsam atmosphärisch, sobald ein Kunstwerk oder eine Reliquie präsentiert werden.
Das zeigt sich auch in der Arbeit „o. T. (sic transit gloria)“: ein Parkettstück aus dem Kunsthistorischen Museum, das bei den Renovierungsarbeiten für die Kunstkammer entsorgt wurde. Der Künstler installierte es als Ready-Made im Kunstraum „super“, der „mittels Verlegung von 30 x 30 cm Fischgrät-Parkett, entnommen den geheiligten Hallen des Kunsthistorischen Museums zu Wien, einer standesgemäßen Weihe und Veredelung zugeführt werden“ sollte, wie der Künstler schrieb.
Der Kunstwissenschafter Wolfgang Ullrich beschrieb in seinem Buch „An die Kunst glauben“ die Verhaltensregeln in musealen Räumen: „Sie (die Besucher) dürfen nichts berühren, sollen höchstens flüstern, langsam gehen, sich vorsichtig bewegen. Sie müssen ihre eigene Präsenz minimieren, um die Gegenwart der Werke nicht zu beeinträchtigen. Auf den Bänken vor den Werken sollen sie sich in Andacht üben.“ Pleschbergers Arbeiten machen sichtbar, wie die Betrachtung von Kunst an religiöse Verehrung rührt.
(Text zur Ausstellung: Raimund Pleschberger - Hairway to Steven* *Cover Version; 2019)
Hairway to Steven*
*Cover Version
Ein Sonnenschirm, eine Burka, ein Gespenst, ein Putzfetzen: Mit Dingen wie diesen assoziierten Betrachterinnen und Betrachter die Skulptur „dear prudence“ von Raimund Pleschberger. Das Objekt, ein Stück Stoff, das über einem Gerüst hängt, ist bedeutungsoffen.
Der Künstler stellt in seinen Werken wesentliche Fragen zur kollektiven Wahrnehmung: Wie stellt sich eine bestimmte Körperlichkeit her, über welche Materialien, Formen, Farben? Ab wann wird ein Ding als etwas Bestimmtes wahrgenommen, wo kippt dieser Effekt wieder ins Gegenteil, wo wird es wieder unkenntlich? So braucht es etwa, wie eine Skulptur Pleschbergers zeigt, nicht viel, um einen Galgen zu evozieren: Es reicht dafür ein Winkel. Ein Erdapfel in Gips abgegossen: Kann man ihn dann noch als solchen bezeichnen, oder ist er dann nur eine Abbildung davon? In einer anderen Arbeit überzieht der Künstler ein Objekt mit einem T-Shirt – das aber als solches nur mehr anhand der Nähte zu erkennen ist, seine ursprüngliche Form verloren hat.
Auch die Arbeit „Hairway to Steven (Cover Version)“ ist Teil dieser Auseinandersetzung: ein längliches drachenförmiges Stück Stoff, das als Krawatte erscheint, obwohl es nicht um einen Hals gebunden ist, sondern an der Wand hängt. Dabei entsteht eine Umcodierung: Die Krawatte wird zum Bildträger für das Foto einer gotischen Skulptur aus dem Stift Admont, einer Maria Magdalena. Die Figur erscheint, über und über behaart, als „Sünderin“ und steigt einer anderen Figur auf den Kopf. Das unterstreicht ihre Dominanz: eine männliche Fantasie, die als Angst- wie als Wunschvision gelesen werden kann.
Pleschberger demonstriert diese Perspektive, die er zusätzlich durch die Positionierung auf einem männlich codierten Stück Stoff hervorhebt. An der Maria Magdalena interessiert den Künstler auch der Fetisch: Ihr Fell spielt zwar auch auf ihre eremitische Existenz an; als Objekt sexuellen Begehrens verweist das lange Haar aber darüber hinaus auf Promiskuitivität und damit auf Maria Magdalenas vermeintliche Rolle als Prostituierte. Diese ist in der Bibel zwar keineswegs verbürgt, wurde aber in der katholischen Interpretation herbeifantasiert.
Ein anderer Fetisch, die Reliquie, spielt ebenso eine Rolle in Pleschbergers Arbeit. Ein besonders absurdes, ebenso mit männlichen Erotikfantasien aufgeladenes Beispiel dafür sind die Partikel vom Unterrock der Jungfrau Maria, die der Künstler vor schwarzem Hintergrund schweben lässt. Die Art der Darstellung findet ihre Parallele in Fotografien von Kunstwerken, die meist möglichst kontextlos und ikonisch abgebildet werden. Die Kunst selbst hat mit dem Reliquienkult gemeinsam, dass in beiden Fällen originale Objekte von Bedeutung sind. Ein Kollektiv – hier die Glaubensgemeinschaft, dort die Kunstszene – konstruiert um diese herum eine Aura. Daher verändert sich der Raum gleichsam atmosphärisch, sobald ein Kunstwerk oder eine Reliquie präsentiert werden.
Das zeigt sich auch in der Arbeit „o. T. (sic transit gloria)“: ein Parkettstück aus dem Kunsthistorischen Museum, das bei den Renovierungsarbeiten für die Kunstkammer entsorgt wurde. Der Künstler installierte es als Ready-Made im Kunstraum „super“, der „mittels Verlegung von 30 x 30 cm Fischgrät-Parkett, entnommen den geheiligten Hallen des Kunsthistorischen Museums zu Wien, einer standesgemäßen Weihe und Veredelung zugeführt werden“ sollte, wie der Künstler schrieb.
Der Kunstwissenschafter Wolfgang Ullrich beschrieb in seinem Buch „An die Kunst glauben“ die Verhaltensregeln in musealen Räumen: „Sie (die Besucher) dürfen nichts berühren, sollen höchstens flüstern, langsam gehen, sich vorsichtig bewegen. Sie müssen ihre eigene Präsenz minimieren, um die Gegenwart der Werke nicht zu beeinträchtigen. Auf den Bänken vor den Werken sollen sie sich in Andacht üben.“ Pleschbergers Arbeiten machen sichtbar, wie die Betrachtung von Kunst an religiöse Verehrung rührt.
(Text zur Ausstellung: Raimund Pleschberger - Hairway to Steven* *Cover Version; 2019)