Raimund Pleschberger
Decoration
Raimund Pleschberger
decorations
1.
Die Blickrichtung ändern
Der Künstler der Gegenwart orientiert sich an Gegebenheiten, zielstrebig blickt er auf Vorhandenes zurück und entwirft individuelle Ansätze in der Beschäftigung mit exerzierten Konzepten der Kunstgeschichte. Er bewegt sich in einem Kontinuum, in dem Entwicklung als individueller Eingriff und Zugriff auf vorhandene Denkmuster und Ideologien verstanden werden kann, die wie künstlerisches Material herangezogen werden. Die dadurch gezeitigten Ergebnisse erheben nicht den Anspruch, Bestehendes für ungültig erklären zu können, sie sind vielmehr individuelle Konsequenz. Die zeitliche Distanz zu historischen Theorien und einstigen dogmatischen Grundsätzen macht eine abgeklärte Betrachtung und Herangehensweise möglich und lässt dadurch veränderte Blickwinkel zu.
Unter dem Arbeitstitel Decorations vereint Raimund Pleschberger Arbeiten, mit welchen er sich dem komplexen Thema Ornament annimmt. Als dienendes Medium der Kunstgattungen und aufgrund seines tradierten „banalen“ Formenvokabulars blieb eine seriöse wissenschaftliche Auseinandersetzung lange Zeit aus, wenngleich nichtsdestotrotz über Jahrhunderte eine rege Diskussion über dessen Stellenwert und Bedeutung geführt wurde.
2.
Funktion/Demonstration
In erster Linie geht es dem Künstler um das Ornament als Konzept, seine Funktionalität und die dafür notwendigen Parameter, die er in Versuchsanordnungen auf individuelle Weise offenzulegen sucht.
Generell intendiert die repräsentative Funktion des Ornaments eine veränderte Wahrnehmung von Formen und Dingen. Es stellt sich die Frage, inwieweit der schmückende Gegenstand als zum Ornament „genötigte“ Form an ursprünglicher Bedeutung verliert, um neue Inhalte in einer Metaebene zu repräsentieren. In der farblich vereinheitlichten ornamentalen Anordnung von Alltagsgegenständen wird dieser Aspekt von Pleschberger überprüft. Mit der Verwendung von banalem, keineswegs der Tradition entsprechendem Formenvokabular wird die Funktionsweise des Ornaments fokussiert: Inwieweit bedingt die Auswahl von Motiven und Dingen eine Eignung als ornamentale Form?
Für die Funktionalität zwingend notwendig ist auch der räumliche Kontext:
Es bedarf eines Trägers, dem das Ornament als schmückendes Beiwerk dient. Zur Umsetzung dieser Idee ist auch für Pleschberger dieser Kontext, der räumliche Zusammenhang, unerlässlich. Doch anders als im authentischen architektonischen Gefüge, in dem das Ornament die ihm zugeordnete Rolle als funktioneller Teil eines Ganzen übernimmt, wird seine Rolle hier, im Kunstraum, nur demonstriert – sie wird für die Veranschaulichung des Konzepts extrahiert, während freilich der authentische Kontext als Grundgedanke des Künstlers in der Rezeption nachvollziehbar bleibt.
Die Methode der Extrahierung findet ihre Fortsetzung in den sogenannten „extended ornaments“ Pleschbergers, mit denen er ebenfalls die Rahmenbedingungen der Generierung bestimmter Bedeutungszusammenhänge offenzulegen sucht.
3.
Verschiebung von Werten
Mit dem Einzug der unmittelbaren Realität in die Kunst des 20. Jahrhunderts wurde das Ornament als Schmuckelement sowie aufgrund seiner über die Form hinausreichenden Repräsentationsfunktion obsolet.
Die Abschaffung der Illusion als Zielsetzung sollte das künstlerische Produkt auf seine Parameter reduzieren und eine Verbindung von Kunst und Leben evozieren.
Wenn Pleschberger in den Decorations aus Dingen des Alltags raumschmückende Elemente in ornamentaler Anordnung schafft, so „erfindet“ er das Ornament als post-avantgardistische Spielart neu. Er ersetzt das klassische ornamentale Motiv durch den realen Gegenstand und verweist damit auf die Errungenschaften der Avantgardekunst seit Duchamp. Gleichzeitig aber hinterfragt er diese durch die Verwendung des Konzepts Ornament. Wenn etwa progressive Werke der 1960er Jahre heutzutage wie Aktien gehandelt werden, exorbitante Marktpreise erzielen und in Managerbüros landen, so verlagert sich die tradierte Bedeutung des Ornaments - Zier und Repräsentation - auf eine Art des künstlerischen Ausdrucks, der per se jegliche Aufladung ablehnte.
4.
Evolution der kultur ist gleichbedeutend mit dem entfernen des ornamentes aus dem gebrauchsgegenstande. (Adolf Loos, Ornament und Verbrechen, 1908)
Das Ornament entbehrte lange Zeit einer wissenschaftlichen Betrachtung.
Erst Alois Riegl dokumentierte Ende des 19. Jahrhunderts die wesentliche Bedeutung des Ornaments als universelles und transkulturelles Element in einer ausführlichen Stilgeschichte, in welcher er Ursprünge und Entwicklungen ornamentaler Formen analysierte und sie in verschiedenen Kulturen der Welt, die sich gleichermaßen dieses Stilmittels bedienten, verortete. Diese Analyse definiert das Ornament nicht nur als Medium der Kunst, sondern erklärt seine kulturhistorische Bedeutung - ein Ansatz, der für Pleschberger von grundlegendem Interesse ist und ihm eine reizvolle künstlerische Auseinandersetzung bietet.
Das Ornament als Phänomen der High und Low Culture, allüberall und jederzeit - im sakralen wie im profanen, im urbanen wie im ländlichen Bereich, in allen sozialen Schichten verankert –
als Fassaden-, Gegenstands - oder Körperdekor.
Aber gerade sein inflationäres Auftauchen, die stete Konfrontation damit sowohl im öffentlichen wie auch im privaten Raum, kann es in Frage stellen oder Ablehnung hervorrufen - eine Haltung, die dem Ornament seit der Antike bis Loos entgegengebracht wurde, und, darüber hinaus, bis heute in unserer Welt der bildhaften Oberflächen, der Logos, Icons und Zeichen gerechtfertigt erscheint.
Dies führt zu obigem Zitat von Loos, da eine solcherart „oberflächliche“ Welt nicht mit einer kulturellen Evolution im ethischen Sinn, wie sie Loos verstand, in Einklang zu bringen ist.
Die Frage der Ethik, die für die Kritik am Ornament herangezogen wurde, lässt sich bis in die Renaissance zurückverfolgen. Man berief sich dabei auf Sokrates und dessen kritische Haltung gegenüber der sogenannten Redekunst, die er als Blendung verstand. Ein Zuviel an Worten, vergleichbar mit schmückender Zier, verstelle dem Bewusstsein die Sicht auf das Elementare und Rationale. In diesem Sinne wurde dem Ornament stellvertretend für jegliche ästhetische Zutat die Verfolgung niedriger Zwecke vorgeworfen - der verführerische Schein führe zu Unvernunft und bewege zu amoralischem Verhalten.
Es wäre also möglich, Pleschbergers Ornamente, die sich aus Gebrauchsgegenständen wie Fernbedienungen, Zigaretten, Kronenkorken, Tablettenverpackungen, (unechten) Hühnern zusammensetzen, im ethischen Kontext zu lesen:
Da die farbliche Vereinheitlichung und geordnete Positionierung eine inhaltliche Entleerung bzw. Entwertung des einzelnen Objekts bewirkt, sie folglich zu Oberflächen reduziert, könnte man von einer kritischen Stellungnahme am Konsumverhalten der westlichen Gesellschaft sprechen. Diese Interpretation entspricht einer Fortführung einer auf ethische Maßstäbe gestützten Kritik am Ornament in zeitgemäßer Aktualisierung.
Anke Orgel, 2010
decorations
1.
Die Blickrichtung ändern
Der Künstler der Gegenwart orientiert sich an Gegebenheiten, zielstrebig blickt er auf Vorhandenes zurück und entwirft individuelle Ansätze in der Beschäftigung mit exerzierten Konzepten der Kunstgeschichte. Er bewegt sich in einem Kontinuum, in dem Entwicklung als individueller Eingriff und Zugriff auf vorhandene Denkmuster und Ideologien verstanden werden kann, die wie künstlerisches Material herangezogen werden. Die dadurch gezeitigten Ergebnisse erheben nicht den Anspruch, Bestehendes für ungültig erklären zu können, sie sind vielmehr individuelle Konsequenz. Die zeitliche Distanz zu historischen Theorien und einstigen dogmatischen Grundsätzen macht eine abgeklärte Betrachtung und Herangehensweise möglich und lässt dadurch veränderte Blickwinkel zu.
Unter dem Arbeitstitel Decorations vereint Raimund Pleschberger Arbeiten, mit welchen er sich dem komplexen Thema Ornament annimmt. Als dienendes Medium der Kunstgattungen und aufgrund seines tradierten „banalen“ Formenvokabulars blieb eine seriöse wissenschaftliche Auseinandersetzung lange Zeit aus, wenngleich nichtsdestotrotz über Jahrhunderte eine rege Diskussion über dessen Stellenwert und Bedeutung geführt wurde.
2.
Funktion/Demonstration
In erster Linie geht es dem Künstler um das Ornament als Konzept, seine Funktionalität und die dafür notwendigen Parameter, die er in Versuchsanordnungen auf individuelle Weise offenzulegen sucht.
Generell intendiert die repräsentative Funktion des Ornaments eine veränderte Wahrnehmung von Formen und Dingen. Es stellt sich die Frage, inwieweit der schmückende Gegenstand als zum Ornament „genötigte“ Form an ursprünglicher Bedeutung verliert, um neue Inhalte in einer Metaebene zu repräsentieren. In der farblich vereinheitlichten ornamentalen Anordnung von Alltagsgegenständen wird dieser Aspekt von Pleschberger überprüft. Mit der Verwendung von banalem, keineswegs der Tradition entsprechendem Formenvokabular wird die Funktionsweise des Ornaments fokussiert: Inwieweit bedingt die Auswahl von Motiven und Dingen eine Eignung als ornamentale Form?
Für die Funktionalität zwingend notwendig ist auch der räumliche Kontext:
Es bedarf eines Trägers, dem das Ornament als schmückendes Beiwerk dient. Zur Umsetzung dieser Idee ist auch für Pleschberger dieser Kontext, der räumliche Zusammenhang, unerlässlich. Doch anders als im authentischen architektonischen Gefüge, in dem das Ornament die ihm zugeordnete Rolle als funktioneller Teil eines Ganzen übernimmt, wird seine Rolle hier, im Kunstraum, nur demonstriert – sie wird für die Veranschaulichung des Konzepts extrahiert, während freilich der authentische Kontext als Grundgedanke des Künstlers in der Rezeption nachvollziehbar bleibt.
Die Methode der Extrahierung findet ihre Fortsetzung in den sogenannten „extended ornaments“ Pleschbergers, mit denen er ebenfalls die Rahmenbedingungen der Generierung bestimmter Bedeutungszusammenhänge offenzulegen sucht.
3.
Verschiebung von Werten
Mit dem Einzug der unmittelbaren Realität in die Kunst des 20. Jahrhunderts wurde das Ornament als Schmuckelement sowie aufgrund seiner über die Form hinausreichenden Repräsentationsfunktion obsolet.
Die Abschaffung der Illusion als Zielsetzung sollte das künstlerische Produkt auf seine Parameter reduzieren und eine Verbindung von Kunst und Leben evozieren.
Wenn Pleschberger in den Decorations aus Dingen des Alltags raumschmückende Elemente in ornamentaler Anordnung schafft, so „erfindet“ er das Ornament als post-avantgardistische Spielart neu. Er ersetzt das klassische ornamentale Motiv durch den realen Gegenstand und verweist damit auf die Errungenschaften der Avantgardekunst seit Duchamp. Gleichzeitig aber hinterfragt er diese durch die Verwendung des Konzepts Ornament. Wenn etwa progressive Werke der 1960er Jahre heutzutage wie Aktien gehandelt werden, exorbitante Marktpreise erzielen und in Managerbüros landen, so verlagert sich die tradierte Bedeutung des Ornaments - Zier und Repräsentation - auf eine Art des künstlerischen Ausdrucks, der per se jegliche Aufladung ablehnte.
4.
Evolution der kultur ist gleichbedeutend mit dem entfernen des ornamentes aus dem gebrauchsgegenstande. (Adolf Loos, Ornament und Verbrechen, 1908)
Das Ornament entbehrte lange Zeit einer wissenschaftlichen Betrachtung.
Erst Alois Riegl dokumentierte Ende des 19. Jahrhunderts die wesentliche Bedeutung des Ornaments als universelles und transkulturelles Element in einer ausführlichen Stilgeschichte, in welcher er Ursprünge und Entwicklungen ornamentaler Formen analysierte und sie in verschiedenen Kulturen der Welt, die sich gleichermaßen dieses Stilmittels bedienten, verortete. Diese Analyse definiert das Ornament nicht nur als Medium der Kunst, sondern erklärt seine kulturhistorische Bedeutung - ein Ansatz, der für Pleschberger von grundlegendem Interesse ist und ihm eine reizvolle künstlerische Auseinandersetzung bietet.
Das Ornament als Phänomen der High und Low Culture, allüberall und jederzeit - im sakralen wie im profanen, im urbanen wie im ländlichen Bereich, in allen sozialen Schichten verankert –
als Fassaden-, Gegenstands - oder Körperdekor.
Aber gerade sein inflationäres Auftauchen, die stete Konfrontation damit sowohl im öffentlichen wie auch im privaten Raum, kann es in Frage stellen oder Ablehnung hervorrufen - eine Haltung, die dem Ornament seit der Antike bis Loos entgegengebracht wurde, und, darüber hinaus, bis heute in unserer Welt der bildhaften Oberflächen, der Logos, Icons und Zeichen gerechtfertigt erscheint.
Dies führt zu obigem Zitat von Loos, da eine solcherart „oberflächliche“ Welt nicht mit einer kulturellen Evolution im ethischen Sinn, wie sie Loos verstand, in Einklang zu bringen ist.
Die Frage der Ethik, die für die Kritik am Ornament herangezogen wurde, lässt sich bis in die Renaissance zurückverfolgen. Man berief sich dabei auf Sokrates und dessen kritische Haltung gegenüber der sogenannten Redekunst, die er als Blendung verstand. Ein Zuviel an Worten, vergleichbar mit schmückender Zier, verstelle dem Bewusstsein die Sicht auf das Elementare und Rationale. In diesem Sinne wurde dem Ornament stellvertretend für jegliche ästhetische Zutat die Verfolgung niedriger Zwecke vorgeworfen - der verführerische Schein führe zu Unvernunft und bewege zu amoralischem Verhalten.
Es wäre also möglich, Pleschbergers Ornamente, die sich aus Gebrauchsgegenständen wie Fernbedienungen, Zigaretten, Kronenkorken, Tablettenverpackungen, (unechten) Hühnern zusammensetzen, im ethischen Kontext zu lesen:
Da die farbliche Vereinheitlichung und geordnete Positionierung eine inhaltliche Entleerung bzw. Entwertung des einzelnen Objekts bewirkt, sie folglich zu Oberflächen reduziert, könnte man von einer kritischen Stellungnahme am Konsumverhalten der westlichen Gesellschaft sprechen. Diese Interpretation entspricht einer Fortführung einer auf ethische Maßstäbe gestützten Kritik am Ornament in zeitgemäßer Aktualisierung.
Anke Orgel, 2010